Mantissa
Mantissa (engl. Mantissa) ist ein Roman von John Fowles aus dem Jahr 1982; die deutschsprachige Ausgabe erschien 1984[1].
Handlung
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der eigentliche Roman besteht zum Großteil aus einem Dialog des Schriftstellers Myles Green mit der Muse Erato. Dieses Gespräch findet in einem isolierten Krankenhauszimmer statt, das entweder eine Metapher des kreativen Gehirns ist oder aber doch in der Realität (natürlich in der künstlichen Realität des Romans) präsent ist.
Parallel entwickelt sich auch das Sujet einer äußerst erotischen Lektüre, die Green verfassen möchte. Er persönlich spielt in seinem noch nicht geschriebenen Buch die männliche Hauptfigur und lässt Erato die Rollen der Frauen übernehmen, auch wenn sie zwei weibliche Personen auf einmal darstellen soll.
Die Idee von Green sieht so aus: Die Amnesie eines Patienten soll mit den neuesten Behandlungsmethoden behandelt werden. Die Letzteren sind in Wirklichkeit nichts anderes als sexuelle Stimulationen, die laut Neurologin Dr. Delphi für die Genesung sehr wichtig seien. Diese äußerst ungewöhnliche Behandlung ist im ersten Kapitel des Romans sehr weit fortgeschritten, dann widersetzt sich aber Erato dem Willen des Autors. An der Stelle, die ihr nicht mehr gefällt, unterbricht sie die Handlung, um mit Green über die weitere Entwicklung seines Werkes sprechen zu können.
Somit wird der Leser gleich mit zwei parallel laufenden Handlungen konfrontiert, die über die Struktur und den Stil des Romans bestimmen.
Der Ort des Geschehens
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Es ist unklar, ob das Gespräch im Krankenhauszimmer, im Kopf vom Green oder in der künstlichen Realität des Romans stattfindet.
Die Beantwortung dieser Frage wird dem Leser überlassen, beziehungsweise werden uns immer wieder widersprüchlichen Hinweise gegeben, indem die Handlung, die zu fast schon zu einer Antwort geführt hat, plötzlich ihren Lauf ändert und alles, was vor dieser Änderung als sicher galt, plötzlich als unwesentlich, oberflächlich oder sogar dumm erscheint.
Die Erzählerperspektive
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Durch die sich kreuzenden Handlungsebenen entsteht bei der Interpretation die Frage, wer im Text die Erzählerrolle übernimmt. Neben Fowles selbst wird diese Aufgabe von Green erfüllt, wie bei einem klassischen Er-Narrativ. Der Schriftsteller entwickelt seinen Konzept und der Leser kann dem Prozess "live" zuschauen.
Doch die Erato wird bald zu einer Mitgestalterin. Sie fängt immer wieder an, sich als Co-Schriftstellerin (wenigstens) zu positionieren und erzählt sogar ihre eigenen Fabeln. Somit stellt sich im Roman die Frage, ob Schriftsteller wirklich die treibenden Figuren der Literatur sind oder doch nur eine technische Rolle haben, ob sie nachhaltig die Kontrolle über ihre Romane, deren Bedeutung und Interpretation behalten. Wer der eigentliche Erzähler ist, bleibt also ein Streitpunkt.
Literaturtheorie als Inhalt des Romans (Metaroman)
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]In der Tat ist ein Großteil der Dialoge den literaturwissenschaftlichen Problemen des 20-en Jahrhunderts gewidmet: z. B. wird die These über den Tod des klassischen Romans zur Sprache gebracht sowie die Veränderungen der Lesestrategien. Ganz ausführlich wird über den Tod des Autors diskutiert, also über den Einfluss des Lesers auf die Interpretation des Romans und über die Macht, die die Protagonisten, Geschichte, neue Lesergenerationen und die neuen wissenschaftlichen Ansätze über den Schriftsteller haben.
Das ließ dem englischen Literaturwissenschaftler David Lodge die Möglichkeit, Mantissa als Metaroman zu bezeichnen, also als ein Buch über das Wesen der Literatur und über die Art, Bücher zu schreiben[2].
Romanstruktur
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Mann nimmt zwei Perspektiven wahr: die, die vom Green ausgedacht wurde, und die, die von Erato beeinflusst wurde.
Die vom Green kreierte Handlung würde, wenn sie zu Ende geführt werden könnte, aus einer Reihe erotischer Begegnungen im Krankenhaus bestehen.
Seine Amnesie wäre nur durch medizinisch notwendige sexuelle Stimulationen heilbar, die laut Neurologin Dr. Delphy ihm helfen würden, sein Gedächtnis wieder zu erlangen. Diese ungewöhnliche Behandlung ist im ersten Kapitel des Romans sehr weit fortgeschritten, dann widersetzt sich aber Erato dem Willen des Autors.
An einer Stelle, die ihr nicht mehr gefällt, unterbricht sie die Handlung, um mit dem Green sprechen zu können.
So beginnt die zweite, wichtigere Handlung des Romans – das Gespräch zwischen den beiden Protagonisten. Dieses Gespräch wird aber durch zusätzliche Sujetlinien sowie durch den kurzzeitigen Rückkehr zu der Behandlung unterbrochen.
Die wichtigsten Themen
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Die Leitlinie der heftigen Diskussion ist: Erato ist nicht damit zufrieden, wie der Schriftsteller die Geschichte erzählt und möchte ihn beraten, damit der zukünftige Roman besser wird. In diesen Zusammenhang wird ein breites Spektrum der Themen besprochen – die bereits erwähnte literaturwissenschaftliche Thematik, die Beziehungen der Geschlechter, männliche Arroganz, der Postmodernismus in der Literatur usw. Die griechischen Mythen werden neu interpretiert, es werden Theorien zu den Persönlichkeiten z. B. vom Homer und Shakespeare erstellt. Der Einfluss vom Christentum auf die moderne Kultur wird auch angesprochen. Die Vielfalt vom Themen stellt an den Leser einen sehr besonderen Anspruch – es ist eindeutig ein Roman für die Intellektuellen.
Stil
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Roman ist in Form eines Dialogs geschrieben, der weitgehend chaotisch ist. Zu den Merkmalen dieses Buches gehören unerwartete Wendungen. Es ist nie vorherzusagen, worum es in zwei oder drei Absätzen gehen wird.
Es gibt einen existenziellen Streit zwischen Green und Erato. Sie streben es an, einen intellektuellen Sieg über dem Gesprächspartner zu erreichen. Es steht sehr viel auf dem Spiel : im Falle vom Green geht es um Selbstachtung als Mensch und um die Zukunft als Schriftsteller, mehr noch – um seine männliche Würde. Erato kämpft darum, als Muse weiter existieren zu können, die Kontrolle über die Literatur weiter erhalten zu dürfen, also um die Existenz als Göttin.
Die Spannung wird durch den Austausch der Argumente erreicht, die sehr radikal und absolut nicht vereinbar sind, also die Goldene Mitte wird in diesem Fall vom Fowles ausgeschlossen. Die Argumente an sich sind sehr oft fachbezogen und erfordern ein Grundwissen der Literatur, Kultur und anderer Bereiche, wenn der Leser denen folgen möchte.
Damit der Leser nicht müde wird und der Geschichte folgt, führt der Autor Ruhepausen ein, während derer Erato und Green plötzlich Frieden schließen, so tun, als ob sie ihre Niederlage eingestanden hätten oder Liede machen. Das dient der Entspannung und dem reibungslosen Übergang zu weiteren Streitthemen.
Ein sehr wichtiges Element des Romans ist Erotik. Fast zwei Drittel vom Buch sind die beiden Protagonisten nackt. Kapitellang streiten sie sich und liegen dabei im Bett in einer Position, die man normalerweise kurz vor dem Sex annimmt. Die nackten Körper werden vom Fowles ausführlich beschrieben. An manchen Stellen wird das Buch fast schon pornografisch.
Im Verlauf des Buches wechselt sich die Gunst des Sieges ständig – eine fast perfekte Niederlage von Green erweist sich als der Anfang seines Triumphs und umgekehrt.
Der Text beinhaltet sehr viele Fachbegriffe aus der Literaturwissenschaft (von denen Einige sogar frei erfunden sind), meist griechischer Herkunft. Das erschwert das Lesen, aber die Tatsache, dass einige Begriffe in Wirklichkeit irrelevant sind, ist dem Leser bekannt (durch Fußnoten). Somit kann der Leser die Fachbegriffe als metasprachlich verstehen und Diese sogar ignorieren.
Darüber hinaus, da der Green ein Fachmann für die englische Literatur ist, werden unzählige Autoren aus Großbritannien genannt und zitiert, die dort sehr populär oder bedeutend sind, im Ausland eher weniger bekannt zu sein scheinen.
Das Ende des Romans ist offen. Viele Fragen bleiben unbeantwortet.
Im Großen und Ganzen ist "Mantissa" ein intellektueller Roman. Das Lesen ist nicht so einfach und erfordert einen guten Willen und ein lebendiges Interesse an der anspruchsvollen Literatur.
Interpretation
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]Der Literaturkritiker John Leonard stellte die leicht ironische These auf, die ungewöhnliche Struktur des Romans und der anspruchsvolle Inhalt seien eine Art Rache an den Literaturkritikern, die Inhalt und Stil anderer Werke von Fowles nicht zu dessen Zufriedenheit interpretiert hätten.[3]
Einzelnachweise
[Bearbeiten | Quelltext bearbeiten]- ↑ Deutsche John-Fowles-Gesellschaft (DJFG) - Fiction/Erzählwerke. Abgerufen am 19. Februar 2019.
- ↑ Dirk Frank: Narrative Gedankenspiele: Der metafiktionale Roman zwischen Modernismus und Postmodernismus. Springer-Verlag, 2013, ISBN 978-3-322-90385-3 (google.de [abgerufen am 21. Februar 2019]).
- ↑ John Leonard: Books Of The Times. Abgerufen am 14. Februar 2019.