Bücher stellen den wertvollsten Reichtum des intellektuellen Vermögens der Menschheit dar. Es gibt jedoch unzählige alte chinesische Klassiker, die aus verschiedenen Gründen und unterschiedlich stark beschädigt sind. Dies führte zur Entstehung des Berufes des Restaurators antiker Bücher.
„Die Leute nennen uns ‚Doktoren für alte Bücher‘“, sagt die 47-jährige Yang Mingli, die als Buchrestauratorin in der Bibliothek Wuhan in der Provinz Hubei arbeitet. „Ich mag diese Metapher, denn unser jüngster ‚Patient‘ ist mindestens 100 Jahre alt.“
Yang begann ihre Arbeit in der Bibliothek im Leserservice und der Dateneingabe im Bereich für antike Bücher. Im Jahr 2012 beantragte sie freiwillig, ihre Fähigkeiten in der Restaurierung antiker Bücher in Kursen des Chinesischen Zentrums für die Erhaltung und Restaurierung antiker Bücher zu verbessern. Seitdem ist sie in Vollzeit als Restauratorin tätig.
Laut Yang zählen Alterung, Säure, Befall durch Insekten oder Nagetiere, Feuer, Schimmel, Vergilbung, Risse und andere Faktoren, die zu spröden und brüchigen Seiten führen können, zu den häufigsten „Krankheitsursachen“. In einigen Fällen können die Bücherseiten „fest wie ein Ziegelstein“ zusammenkleben.
Im Jahr 2019 belegte Yang den dritten Platz beim Nationalen Wettbewerb für Restaurierung antiker Bücher. „Das Buch, das ich bei dem Wettbewerb restaurierte, war eine seltene Ausgabe aus der Zeit der Qing-Dynastie (1644-1911). Die Seiten waren sehr gealtert und das Papier fragil. Beim Herausnehmen wurde es sorgfältig in Papier eingewickelt, damit die einzelnen Teile nicht herausfallen“, sagt sie.
Die Fragmente des Buches waren von unterschiedlicher Größe und das kleinste war laut Yang nur wenige Millimeter lang. „Es könnte mit einem Windstoß verschwinden“, scherzt sie. Aus diesem Grund erforderte das Zusammensetzen der Teile – wie bei einem Puzzle – die Geduld einer Restauratorin. „Einige Textinhalte lassen sich in früheren Ausgaben des Buches finden. Seiten ohne Text müssen jedoch schrittweise, in Abhängigkeit von den physischen Eigenschaften des Papiers, wie seiner Form und Textur, hinzugefügt werden.“
In ihrer zehnjährigen Tätigkeit hat Yang rund 10.000 Seiten von antiken Büchern restauriert. Der schwierigste Teil ist es, ihr zufolge, die Kontrolle über jede Phase zu behalten.
Sie erläutert die Herausforderungen am Beispiel der Zubereitung des Klebstoffes, um Seiten anzufügen. Wenn der Kleister zu dünn ist, kann es passieren, dass die restaurierten Seiten sich lösen und sich trennen, was die Qualität der Restaurierung beeinträchtigt. Ist der Kleister jedoch zu dick, werden die Seiten hart, sind schwierig umzublättern und anfällig für Insektenbefall. „Die Herstellung eines geeigneten Kleisters ist die Grundlage für den Abschluss der Restaurierungsarbeit“, sagt sie.
China ist reich an antiken Büchern. Yang sagt, in China gebe es mehr als 30 Millionen antiker Klassiker, die vor 1912 entstanden sind, und die Bibliothek Wuhan habe allein mehr als 210.000 davon. „Einer früheren Schätzung der Chinesischen Nationalbibliothek zufolge ist ein Drittel der antiken Bücher in ihrer Sammlung beschädigt“, sagt sie.
Obwohl eine große Anzahl von Büchern restauriert werden muss, mangelt es an Buchrestauratoren. „In der Bibliothek Wuhan gibt es nur drei Vollzeit-Restauratoren“, so Yang.
Auch wenn die Restaurierungsarbeit anstrengend ist, darf der Restaurierungsprozess nicht überstürzt werden. Wenn Restauratoren ein antikes Buch empfangen, besteht ihre erste Aufgabe nicht darin, es sofort zu restaurieren, sondern es sich anzuschauen und seine wesentlichen Details aufzunehmen, so Bai Yuzhi, ein Restaurator an der Bibliothek Wuhan.
Danach werden die Restauratoren das Buch aufklappen, jede einzelne Seite herausnehmen und es an der Rückseite restaurieren. „Wenn das Buch stark beschädigt ist, kann es ein oder zwei Tage dauern, um eine einzige Seite zu restaurieren“, sagt Bai. „Es dauert also mindestens einen Monat, um ein ganzes Buch zu restaurieren.“
Bai schloss im Jahr 2016 ihr Studium im Hauptfach Restaurierung antiker Bücher an der Universität Wuhan ab und gehört nun zur vierten Generation von Restauratoren in der Bibliothek Wuhan. Im Jahr 2014 begann Bai in ihrer Freizeit damit, diese Technik zu üben, und wurde 2019 Restauratorin. „Ich bin introvertiert und nicht gut darin, Kontakte zu knüpfen, sodass dieser Job sehr gut zu mir passt“, sagt sie.
„Alte Herkunft, neues Blut“
Laut Bai wurde die Praxis des Restaurierens von Büchern seit der Zeit der Wei, Jin und Südlichen und Nördlichen Dynastien (220-589) dokumentiert. Es existieren auch Bücher aus der Zeit der Ming- (1368-1644) und Qing-Dynastie, in denen die Techniken der Restaurierung antiker Bücher speziell festgehalten sind. Viele davon ähneln denen, die heutige Restauratoren verwenden.
Mit der Zeit wurden bestimmte traditionelle Restaurierungstechniken und -theorien verworfen, und neue entstanden.
Das Leitprinzip für moderne Restauratoren in der heutigen Zeit lautet „das Buch zu restaurieren wie es einmal war“ und „Eingriffe auf ein Mindestmaß zu reduzieren“. Durch diese beiden Maximen unterscheidet sich das Papier, das heute für die Restaurierung verwendet wird, maßgeblich von modernem Papier, weil es unter Verwendung antiker Techniken der Papierherstellung hergestellt wird. „Es ist auch wichtig, mit dem originalen Buch abzugleichen und Papier auszuwählen, dessen Material, Dicke und Textur am ähnlichsten ist“, sagt Bai.
Hinzukommt, dass Restauratoren, dem gegenwärtigen Restaurierungsansatz folgend, für das Auffüllen fehlender Bereiche heutzutage ausschließlich Papier verwenden, damit die Seiten normal gelesen werden können. „In den 1900er-Jahren oder früher zeichneten Restauratoren auf Restaurierungspapier fehlende Linien nach und vervollständigten den Text“, so Bai.
Laut Bai unterscheidet sich die Version, die der Restaurator als Referenz nutzt, mit hoher Wahrscheinlichkeit von den fehlenden Stücken des Buches. Diese ohne Rücksprache hinzuzufügen, könnte bei nachfolgenden Forschern zu Missverständnissen führen. „Heutzutage bewahren wir die Information über fehlende Stücke auf und überlassen diese spezialisierten Forschern, um herauszufinden, welches Stück dazu passt“, sagt sie. „Das gegenwärtige Restaurierungskonzept spiegelt mehr Respekt für Geschichte wider.“
Bai erwähnt, dass in früheren Zeiten Bücher auch in Buchläden repariert wurden. Dort wurden alte Bücher zu „neuen“ restauriert, um sie verkaufen zu können, indem man dem Kleister Zusätze hinzufügte, um die Seiten festzukleben. Die heutigen Inhaltsstoffe sind nicht nur zuverlässiger, sondern auch leichter zu entfernen, ohne dass das Buch dabei beschädigt wird. „Mit der Zeit werden reparierte antike Bücher wieder Schaden nehmen, deshalb müssen Restauratoren beachten, dass die originalen Seiten der antiken Bücher bei einer Reparatur in der Zukunft nur minimal beschädigt werden“, erklärt Bai.
Neben der Weiterentwicklung von Restaurierungskonzepten haben auch bestimmte wissenschaftliche Instrumente eine ergänzende Rolle im Restaurierungsprozess gespielt. „In der Antike konnte die Zusammensetzung von Papier nur durch Erfahrung und Betrachtung von Restauratoren bestimmt werden“, sagt Yang. „Doch jetzt können wir Instrumente zur Bestimmung und Analyse der Seite und Fasern benutzen, um das Papier auszuwählen, das sich für die Restaurierung am besten eignet.“
Des Weiteren ermöglicht moderne Technologie eine sichere Umgebung zur Aufbewahrung von leicht beschädigten antiken Büchern, die nicht umgehend restauriert werden müssen. „Durch eine Kombination aus Vorbeugung und Restaurierung können antike Bücher besser geschützt werden“, so Yang.
Die Weiterentwicklung von Restaurierungskonzepten und der Fortschritt in Wissenschaft und Technologie haben auch die Aufrechterhaltung und Innovation der Restaurierung gefördert. Die Kultivierung von Talenten sowie Aktivitäten, bei denen man die Fertigkeiten von Restauratoren erleben kann, haben der Erhaltung antiker Bücher neue Kraft verliehen.
Yang und Bai haben beide an Lehrgängen für Restauratoren antiker Bücher teilgenommen. Das Chinesische Zentrum für die Erhaltung und Restaurierung antiker Bücher, das diese organisiert, bietet landesweit kostenfreie Schulungen für Bibliotheksmitarbeiter an. Das Zentrum biete auch öffentliche Restaurierungskurse, die kostenpflichtig seien, so Bai.
„Es gibt viele junge Leute in den Klassen und es werden auch Experten eingeladen, um Kurse zu leiten“, erinnert sich Bai. „Ich habe sehr viel von erfahrenen Experten und im Austausch mit Kollegen gelernt. Beim Restaurieren antiker Bücher muss man sich ständig verbessern und Techniken durch Praxis und Austausch auf den neuesten Stand bringen. Das schafft man nicht in völliger Abgeschiedenheit.“
Zusätzlich zur Ermutigung von Mitarbeitern sich professionell weiterzubilden, bietet die Bibliothek Wuhan praxisbezogene Aktivitäten zu Restaurierungstechniken für die Öffentlichkeit an. „Die Teilnehmer sind leidenschaftlich an der Restaurierung interessiert. Manche Kinder können noch nicht mal über die Tischplatte schauen und müssen auf Podesten stehen, wenn sie die Restaurierung Schritt für Schritt erleben“, so Yang. „Diese Szenen haben mir Hoffnung für die Weitergabe gegeben.“
„Junge Leute interessieren sich heutzutage sehr für traditionelle chinesische Kultur und beteiligen sich in hohem Maß“, sagt sie. „Jedes Mal, wenn ich an Veranstaltungen und Aktivitäten zum Austausch teilnehme, treffe ich viele junge Kollegen. Ich sehe, dass sich mehr und mehr junge Menschen dem Erhalt antiker Bücher verschreiben.“
Mehr als nur Restaurierung
Im Jahr 2007 wurde der Plan zur Erhaltung chinesischer antiker Bücher offiziell eingeleitet. Die Initiative ist das erste Projekt dieser Art unter Leitung der Regierung seit der Gründung der Volksrepublik China. Das wesentliche Ziel besteht darin, antike Bücher in China umfassend, wissenschaftsbasiert und standardisiert zu schützen und zu nutzen.
Mit dem Fortschritt von Wissenschaft und digitaler Technologie haben sich die Methoden zur Erhaltung antiker Bücher vervielfacht. Während die Restaurierung den ursprünglichen Schutz darstellt, steht die Digitalisierung – die landesweit in bedeutenden Bibliotheken durchgeführt wird – für den regenerativen Schutz dieser literarischen Schätze.
In den letzten Jahren wurde zum Beispiel in der Provinzbibliothek Hubei die Sammlung seltener antiker Bücher systematisch digital gescannt. Die Bibliothek verfüge derzeit über mehr als 400.000 antike Bücher und nahezu eine Million digitale Bilddateien, sagt Liu Weicheng, Parteisekretär und Direktor des Zentrums für Erhaltung und Restaurierung antiker Bücher der Provinzbibliothek Hubei. Auf Grundlage der Digitalisierung klassischer Bücher hat die Bibliothek zwei verschiedene Ressourcendatenbanken eingerichtet.
Laut Liu können sich Leser anmelden und in das externe Datenbanknetzwerk über einen Fernzugang einloggen oder die Datenbanken direkt in der Bibliothek kostenfrei nutzen.
„Seitdem es diese Datenbanken gibt, machen Leser begeistert davon Gebrauch und erwecken die Wörter darin zum Leben“, sagt Liu.